Kategoriearchiv '§323 BGB'

02.11.21

Bundesgerichtshof zum sog. Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne vorherige Fristsetzung nicht ohne weiteres möglich

- §287 ZPO, §323 BGB, §346 BGB, §434 BGB, §437 BGB, §440 BGB, Urteile -

Urteil vom 29. September 2021 – VIII ZR 111/20

Der Bundesgerichtshof hat sich in einer nunmehr veröffentlichten Entscheidung damit beschäftigt, ob der Käufer eines aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung mangelhaften Neufahrzeugs (siehe hierzu bereits Senatsurteile vom 21. Juli 2021 – VIII ZR 254/20 et al. – Pressemitteilung Nr. 140/2021) vom Kaufvertrag zurücktreten kann, ohne dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung (hier: durch ein Software-Update) zu geben.

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb im Jahr 2015 bei der beklagten Fahrzeughändlerin ein mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug Škoda Yeti, dessen Motorsteuerungssoftware den Prüfstandlauf erkannte und in diesem Fall den Ausstoß von Stickoxiden verringerte. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, erklärte der Kläger im Herbst 2017 den Rücktritt vom Vertrag. Die Beklagte verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies den Kläger auf das von der Volkswagen AG entwickelte und von der zuständigen Behörde freigegebene Software-Update, das hinsichtlich des Stickoxidausstoßes einen vorschriftsmäßigen Zustand herstellen sollte. Der Kläger ließ das Software-Update nicht aufspielen, weil er negative Folgen für das Fahrzeug befürchtete.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die Vorinstanzen haben der auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten Klage weitgehend stattgegeben. Nach Ansicht des Berufungsgerichts scheitere der vom Kläger erklärte Rücktritt auch nicht an der unterbliebenen Fristsetzung zur Nacherfüllung, da diese vorliegend nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB und § 440 BGB entbehrlich gewesen sei. Dem Kläger sei eine Nachbesserung unzumutbar, weil er nicht gehalten sei, mit der Durchführung des Software-Updates die Beseitigung des Mangels letztlich der Herstellerin zu überlassen, auf deren arglistiges Verhalten das Bestehen des Mangels zurückzuführen sei. Außerdem könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Update keine negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug oder den Fahrbetrieb entfalte, denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung hätte die Herstellerin nicht ohne Not zu „illegalen Mitteln“ gegriffen, wenn der mit der Prüfstanderkennung bezweckte Effekt so einfach und ohne anderweitige Nachteile zu erreichen gewesen wäre.

Den Wert des bei Rückabwicklung des Kaufvertrags vom Kläger für die Nutzung des Fahrzeugs gemäß § 346 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB zu leistenden Ersatzes haben beide Instanzen im Wege der Schätzung ausgehend von einer zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 250.000 Kilometern bestimmt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Kläger zu seinen Gunsten demgegenüber den Ansatz eine Gesamtfahrleistung von 400.000 Kilometern erreichen, während die Beklagte mit ihrer ebenfalls zugelassenen Revision die Abweisung der Klage insgesamt begehrt.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine dem Verkäufer vor Ausübung eines mangelbedingten Rücktrittsrechts vom Käufer einzuräumende Frist zur Nacherfüllung nicht allein deshalb entbehrlich ist, weil das betreffende Fahrzeug vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht worden ist oder der (bloße) Verdacht besteht, dass ein zur Mangelbeseitigung angebotenes Software-Update zu anderen Nachteilen am Fahrzeug führen könnte. In einer solchen Fallgestaltung bedarf es vielmehr zunächst weitergehender Prüfung und (sachverständiger) Feststellungen durch das Tatgericht.

Ein Rücktritt nach § 437 Nr. 2, § 323 Abs. 1 BGB setzt neben dem Vorliegen eines Sachmangels im Sinne des § 434 BGB grundsätzlich weiter voraus, dass der Käufer dem Verkäufer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung (Nachbesserung oder Nachlieferung) gesetzt hat. Diese Fristsetzung ist jedoch entbehrlich, wenn dem Käufer – wofür dieser allerdings darlegungs- und beweisbelastet ist – eine Nacherfüllung unzumutbar wäre (§ 440 Satz 1 Alt. 3 BGB) oder besondere Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen (§ 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Dies bejaht die höchstrichterliche Rechtsprechung unter anderem dann, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat, weil hierdurch regelmäßig die auf Seiten des Käufers zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage entfällt.

Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch – was das Berufungsgericht vorliegend nicht hinreichend beachtet hat – nicht ohne weiteres auf Fallgestaltungen wie die vorliegende übertragen, in denen zwar der Hersteller das Fahrzeug mit einem ihm bekannten und verschwiegenen Mangel – der unzulässigen Abschalteinrichtung – in den Verkehr gebracht hat, dem Verkäufer selbst dieser Mangel bei Vertragsabschluss aber nicht bekannt war. Zwar kann die Vertrauensgrundlage zwischen einem Käufer und einem Verkäufer unter Umständen auch dann gestört sein, wenn der Verkäufer sich bei Vertragsabschluss ordnungsgemäß verhalten hat, aber eine Nachbesserung allein in Form eines von eben diesem Hersteller entwickelten Software-Updates anbietet. Ob eine solche Störung vorliegt, hängt jedoch stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die der Tatrichter nicht allein schematisch, sondern in sorgfältiger Abwägung zu würdigen hat. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass sich der Verkäufer, dem vom Gesetz grundsätzlich ein Recht zur zweiten Andienung eingeräumt wird, nach der Rechtsprechung des Senats ein arglistiges Vorgehen des Herstellers gerade nicht zurechnen lassen muss. Weiterhin wird in Betracht zu ziehen sein, ob vor dem Hintergrund der erforderlichen Prüfung und Freigabe des Updates durch die zuständige Behörde und der Beobachtung der weiteren Entwicklung durch die (Fach-)Öffentlichkeit ein erneutes arglistiges Verhalten des Herstellers nicht fraglich sein könnte (vgl. hierzu bereits BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 7/20, Pressemitteilung Nr. 101/2020). Denn wäre – was die Tatgerichte im Einzelnen zu prüfen haben – ein weiteres arglistiges Verhalten des Herstellers aus objektiver Sicht auszuschließen, ließe sich auch eine auf dessen früheres arglistiges Vorgehen gestützte Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nicht begründen.

Ebenso wenig ist vorliegend ein sofortiger Rücktritt bereits deshalb gerechtfertigt, weil – wie das Berufungsgericht gemeint hat – nach der allgemeinen Lebenserfahrung das vom Verkäufer angebotene Software-Update mit dem Verdacht oder gar einer tatsächlichen Vermutung negativer Folgen für das Fahrzeug und dessen Betrieb (höherer Verbrauch, kürzere Lebensdauer des Fahrzeugs, erhöhter Verschleiß, verminderte Leistung, schlechtere Emissionen) behaftet wäre. Vielmehr ist zunächst durch entsprechende Feststellungen und vorliegend durch das vom Kläger diesbezüglich angebotene Sachverständigengutachten zu klären, ob und in welchem Umfang das vom Verkäufer angebotene Software-Update tatsächlich zu den vom Käufer behaupteten Folgeschäden führt.

Nach alledem hat der Senat das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben, soweit darin zu deren Nachteil erkannt worden ist, und es an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit die erforderlichen Feststellungen nunmehr nachgeholt werden können.

Die Revision des Klägers, mit welcher dieser die Bemessung des bei einer Rückabwicklung des Kaufvertrages in Abzug zu bringenden Nutzungsersatzes als überhöht angreift, hat der Senat hingegen zurückgewiesen. Die Instanzgerichte haben ihrer Schätzung (§ 287 Abs. 1 ZPO analog) insoweit im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung die zeitanteilige lineare Wertminderung zugrunde gelegt, die bei Neufahrzeugen ausgehend vom Bruttokaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung) zu bestimmen ist. Für die zu erwartende Gesamtlaufleistung ist dabei die Lebensdauer des gesamten Fahrzeugs maßgebend, die unter Berücksichtigung von der Motorisierung, der Qualität und der Preisklasse des Fahrzeugs zu beurteilen ist. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass sich die Vorinstanzen an den in der Gerichtspraxis anzutreffenden Schätzwerten bei Mittelklassewagen neueren Datums orientiert und für das Fahrzeug eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von 250.000 Kilometern angesetzt haben. Die demgegenüber unter Sachverständigenbeweis gestellte Behauptung des Klägers, das erworbene Fahrzeug habe eine voraussichtliche Laufleistung von 400.000 Kilometern, ist unbeachtlich. Denn der Kläger hat vorliegend nicht aufgezeigt, dass ein Sachverständigengutachten eine tragfähigere Schätzgrundlage als die seit vielen Jahren veröffentlichten Schätzwerte der Tatgerichte böte.

Vorinstanzen:

LG Köln – 19 O 191/17 – Urteil vom 8. Januar 2019

OLG Köln – 6 U 16/19 – Urteil vom 27. März 2020

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 323 BGB Rücktritt wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung

(1) Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten.

(2) Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn

[…]

  1. im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. […]

§ 346 BGB Wirkungen des Rücktritts

(1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.

(2) 1Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu leisten, soweit

  1. die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist, […]

§ 434 BGB Sachmangel

(1) 1Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. 2Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Sache frei von Sachmängeln,

  1. wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, sonst
  2. wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. […]

§ 437 BGB Rechte des Käufers bei Mängeln

Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,

  1. […]
  2. nach §§ 440, 323 […] von dem Vertrag zurücktreten oder […]

§ 440 BGB Besondere Bestimmungen für Rücktritt und Schadensersatz

1Außer in den Fällen des […] § 323 Absatz 2 bedarf es der Fristsetzung auch dann nicht, wenn […] die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen oder ihm unzumutbar ist. […]

§ 287 ZPO Schadensermittlung; Höhe der Forderung

(1) 1Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. 2Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. […]

Karlsruhe, den 2. November 2021

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 02.11.2021

12.03.21

„Fiktive“ Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden

- §280 BGB, §281 BGB, §282 BGB, §283 BGB, §311a BGB, §323 BGB, §326 BGB, §437 BGB, §439 BGB, §440 BGB, §441 BGB, §634 BGB, §635 BGB, §637 BGB, Urteile -

Urteil vom 12. März 2021 – V ZR 33/19

Der unter anderem für den Immobilienkauf zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass ein kaufvertraglicher Anspruch auf Schadensersatz wegen Mängeln der erworbenen Immobilie weiterhin anhand der voraussichtlich entstehenden, aber bislang nicht aufgewendeten („fiktiven“) Mängelbeseitigungskosten berechnet werden kann.

Sachverhalt:

Die Kläger erwarben von dem Beklagten im Jahr 2014 eine Eigentumswohnung zum Preis von 79.800 € unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. In dem Kaufvertrag heißt es: „Dem Verkäufer ist bekannt, dass es in der Vergangenheit an der Schlafzimmerwand Feuchtigkeit gab. Sollte es bis zum 31. Dezember 2015 erneut zu einer Feuchtigkeit im Schlafzimmer kommen, verpflichtet sich der Verkäufer, diese auf seine eigenen Kosten zu beheben.“ Nach Übergabe der Wohnung trat Ende 2014 Feuchtigkeit in dem Schlafzimmer der Kläger auf, zu deren Beseitigung die Kläger den Beklagten erfolglos unter Fristsetzung aufforderten. Die Wohnungseigentümer ermächtigten die Kläger durch Beschluss auch insoweit zur Behebung der Schäden, als das Gemeinschaftseigentum betroffen ist. Mit der Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten – soweit im Revisionsverfahren von Interesse – die Zahlung der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten ohne Umsatzsteuer in Höhe von 7.972,68 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten; ferner soll festgestellt werden, dass der Beklagte weitere Schäden ersetzen muss.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Die von dem Berufungsgericht vorgenommene Bemessung des kaufvertraglichen Schadensersatzes statt der Leistung gemäß § 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB entspricht der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Danach kann der Käufer im Rahmen des kleinen Schadensersatzes entweder Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen, wobei es unerheblich ist, ob der Mangel tatsächlich beseitigt wird. Allerdings hat der VII. Zivilsenat für den werkvertraglichen Anspruch auf kleinen Schadensersatz gemäß § 634 Nr. 4, § 280, § 281 Abs. 1 BGB seine langjährige Rechtsprechung, nach der die Schadensbemessung anhand der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten zulässig war, inzwischen aufgegeben (Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, veröffentlicht auf der Homepage unter „Entscheidungen“). Dies lässt sich auf die kaufrechtliche Sachmängelhaftung jedoch nicht übertragen. Insbesondere steht dem Käufer – anders als dem Besteller im Werkvertragsrecht – kein Vorschussanspruch zu. Es wäre aber nicht vertretbar, wenn der Käufer einer Sache die beabsichtigte Mängelbeseitigung vorfinanzieren müsste. Eine Ausnahme gilt nur im Hinblick auf die Umsatzsteuer, die – wie im Delikts- und Werkvertragsrecht – nur ersetzt werden muss, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.

Eine Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 GVG) ist nicht mehr erforderlich, nachdem der VII. Zivilsenat auf Anfrage des V. Zivilsenats vom 13. März 2020 (V ZR 33/19, veröffentlicht auf der Homepage unter „Entscheidungen“) die Begründung seiner Rechtsprechungsänderung mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 (VII ARZ 1/20, veröffentlicht auf der Homepage unter „Entscheidungen“) im Hinblick auf die Verankerung im Werk- und Architektenvertragsrecht vertieft und ergänzt hat. Insbesondere ist klargestellt worden, dass ein zweckgebundener und abzurechnender Vorfinanzierungsanspruch nicht aus dem allgemeinen Schadensersatzrecht hergeleitet werden kann.

Ebenso wenig bedarf es einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG). Denn die von dem VII. Zivilsenat vorgenommene Bemessung des kleinen Schadensersatzes statt der Leistung ist angesichts der präzisierten und klarer konturierten werkvertraglichen Verankerung nicht auf andere Vertragstypen des besonderen Schuldrechts übertragbar. Bei dem Erwerb gebrauchter Immobilien sind die praktischen Unterschiede zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht im Regelfall gering. Denn bei Mängeln, mit denen der Immobilienkäufer nicht oder jedenfalls deutlich schlechter „leben“ kann als mit der mangelfreien Immobilie, hält der VII. Zivilsenat, wie er ausdrücklich klargestellt hat, die Schätzung des mangelbedingten Minderwerts anhand der Mängelbeseitigungskosten weiterhin für zulässig. Infolgedessen müssen in solchen Fällen – jedenfalls im Ergebnis – die noch nicht angefallenen Mängelbeseitigungskosten unabhängig von der Rechtsnatur des Vertrags ersetzt werden. Die Einordnung des Vertrags in das Kauf- oder in das Werkvertragsrecht wirkt sich künftig vornehmlich in denjenigen Fallgestaltungen aus, in denen die Mängelbeseitigungskosten den mangelbedingten Minderwert erheblich überschreiten. Gerade in solchen Fallkonstellationen gibt es für eine unterschiedliche Behandlung von Kauf- und Werkverträgen jedoch triftige Gründe, die bereits der VII. Zivilsenat in seinem Beschluss vom 8. Oktober 2020 (VII ARZ 1/20) eingehend und zutreffend aufgezeigt hat. Der Käufer müsste die Mängelbeseitigung vorfinanzieren, weil er – anders als der Besteller – keinen Vorschuss verlangen kann; das wäre unzumutbar. Zudem wirkt das Kaufrecht einer unangemessenen Überkompensation des Käufers durch die Begrenzung des Nacherfüllungsanspruchs entgegen. Ist nämlich die Nacherfüllung nach den Vorgaben des § 439 Abs. 4 Satz 2 BGB als unverhältnismäßig anzusehen, kann der Käufer als Schadensersatz nur den mangelbedingten Minderwert verlangen. Im Werkvertragsrecht gibt es für eine solche Begrenzung des Schadensersatzanspruchs keine Entsprechung.

Vorinstanzen:

LG Krefeld – Urteil vom 29. November 2017 – 2 O 143/17

OLG Düsseldorf – Urteil vom 15. Januar 2019 – I-24 U 202/17

Die maßgeblichen Normen lauten:

§ 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (…)

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

§ 281 Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistung

(1) Soweit der Schuldner die fällige Leistung nicht oder nicht wie geschuldet erbringt, kann der Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat (…)

(4) Der Anspruch auf die Leistung ist ausgeschlossen, sobald der Gläubiger statt der Leistung Schadensersatz verlangt hat.

§ 437 Rechte des Käufers bei Mängeln

Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,

1.nach § 439 Nacherfüllung verlangen,

2.nach den §§ 440, 323 und 326 Abs. 5 von dem Vertrag zurücktreten oder nach § 441 den Kaufpreis mindern und

3.nach den §§ 440, 280, 281, 283 und 311a Schadensersatz oder nach § 284 Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.

§ 634 Rechte des Bestellers bei Mängeln

Ist das Werk mangelhaft, kann der Besteller, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,

1.nach § 635 Nacherfüllung verlangen,

2.nach § 637 den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen,

3.nach den §§ 636, 323 und 326 Abs. 5 von dem Vertrag zurücktreten oder nach § 638 die Vergütung mindern und

4.nach den §§ 636, 280, 281, 283 und 311a Schadensersatz oder nach § 284 Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.

Karlsruhe, den 12. März 2021

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 12.03.2021


Sie browsen
das Archiv der '§323 BGB' Kategorie.
Leistungsübersicht

Trainer,
unter anderem für :
Rechtsthemen
Präsentation
Downloads
Prüfungsschema
externe Links