Kategoriearchiv '§199 BGB'

27.01.22

Bundesgerichtshof entscheidet über Schadensersatzansprüche gegen die Volkswagen AG im Zusammenhang mit Fragen der Verjährung

- §195 BGB, §199 BGB, §204 BGB, §606 ZPO, §608 ZPO, §826 BGB, Urteile -

Urteil vom 27. Januar 2022 – VII ZR 303/20

Der unter anderem für Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen, die den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben, zuständige VII. Zivilsenat hatte erneut darüber zu entscheiden, ob die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche des Fahrzeugkäufers gegen die Volkswagen AG durch die Anmeldung der klägerischen Ansprüche zum Klageregister der am OLG Braunschweig geführten Musterfeststellungsklage gehemmt wurde.

Sachverhalt:

Der Kläger nimmt die beklagte Volkswagen AG wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger erwarb 2011 bei einer Kfz-Händlerin ein von der Beklagten hergestelltes Neufahrzeug VW Golf VI 2.0 TDI zu einem Preis von 22.607 €. In dem mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 (EU 5) ausgestatteten Fahrzeug war eine Motorsteuerungssoftware verbaut, durch die auf dem Prüfstand bessere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb.

Mit seiner im Oktober 2019 eingegangenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie die Zahlung von Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Die Beklagte hat unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben. Der Kläger behauptet, er habe sich im Dezember 2018 zur Musterfeststellungsklage an- und im September 2019 wieder abgemeldet.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Einem Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung stehe die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen. Es sei keine Hemmung der Verjährung vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist erfolgt, die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres 2015 in Gang gesetzt worden sei. Die rechtzeitige Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage noch im Jahr 2018 habe der Kläger nicht bewiesen. Eine Anmeldung zum Klageregister erst nach Ablauf der Verjährungsfrist wirke nicht auf den Zeitpunkt der Erhebung der Musterfeststellungsklage zurück. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger sein Klagebegehren weiterverfolgt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht wegen Verjährung abgewiesen werden.

Allerdings musste die Beklagte, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, die von ihr erstinstanzlich erhobene Einrede der Verjährung in der Berufungsinstanz nicht wiederholen. Für die Annahme eines diesbezüglich unterlassenen Berufungsangriffs oder gar eines Verzichts der Beklagten auf diese Einrede ist im Streitfall kein Raum. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht unangegriffen festgestellt hat, die Beklagte habe zur Begründung ihrer Berufung auch die Verjährung eines etwa bestehenden Anspruchs vorgebracht, gelangt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit der zulässigen Berufung grundsätzlich auch die erstinstanzlich erhobene Verjährungseinrede ohne Wiederholung in der Berufungsbegründung in die Berufungsinstanz.

Die Revision hat aber erfolgreich die Annahme des Berufungsgerichts beanstandet, die Verjährung der Klageforderung sei mit dem Schluss des Jahres 2018 – und daher vor der 2019 erfolgten Klageeinreichung – eingetreten. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann die Hemmung der Verjährung durch Anspruchsanmeldung zum Klageregister der gegen die Beklagte geführte Musterfeststellungsklage im Jahre 2018 nicht verneint werden. Für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs konnte daher dahinstehen, ob die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen hat.

Die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs tritt – wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat – grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zur Eintragung in deren Register ein, auch wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20 Rn. 24 ff.).

Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Klägervortrag wurde vor Ablauf des Jahres 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte erhoben, hat der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche jedenfalls ab Beginn des Jahres 2019 wirksam zur Eintragung im entsprechenden Klageregister angemeldet (§ 608 ZPO) und liegt den Ansprüchen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Unter diesen Voraussetzungen war die Erhebung der Musterfeststellungsklage gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB grundsätzlich geeignet, die Verjährung der klägerischen Ansprüche zu hemmen, und zwar auch dann, wenn – wie vom Berufungsgericht angenommen – eine Anmeldung zum Klageregister noch im Jahr 2018 nicht bewiesen ist. Der Kläger hat nach Rücknahme der Anmeldung zudem auf der Grundlage einer von ihm zweitinstanzlich vorgelegten Urkunde innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die vorliegende Individualklage erhoben.

Dem Kläger ist es nicht verwehrt, sich auf die Hemmung der Verjährung zu berufen. Der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB findet grundsätzlich auch dann Anwendung, wenn der Gläubiger seine Anmeldung zum Klageregister im weiteren Verlauf des Musterfeststellungsverfahrens wieder zurücknimmt, um im Anschluss Individualklage zu erheben. Der Gesetzgeber hat dem Gläubiger bewusst die Möglichkeit der Abmeldung vom Klageregister bis zu dem in § 608 Abs. 3 ZPO geregelten Zeitpunkt und der anschließenden Geltendmachung der Ansprüche im Wege der Individualklage eingeräumt und für diesen Fall eine spezifische Regelung über eine nachlaufende sechsmonatige Verjährungshemmung getroffen (§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB). Nutzt der Gläubiger diese ihm ausdrücklich eingeräumte Möglichkeit der Anmeldungsrücknahme, handelt es sich daher grundsätzlich um einen einfachen Rechtsgebrauch und nicht um einen Rechtsmissbrauch (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20 Rn. 39 ff.; Urteil vom 19. Oktober 2021 – VI ZR 189/20 Rn. 16). Die Umstände des Streitfalles gaben keinen Anlass, hiervon abzuweichen.

Vorinstanzen:

Landgericht Ellwangen – Urteil vom 11. Februar 2020 – 5 O 363/19

Oberlandesgericht Stuttgart – Urteil vom 17. November 2020 – 10 U 86/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.

§ 199 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem

  1. der Anspruch entstanden ist und
  2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. […]

§ 204 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Die Verjährung wird gehemmt durch […]

1a. die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage, […]

(2) Die Hemmung nach Absatz 1 endet sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Die Hemmung nach Absatz 1 Nummer 1a endet auch sechs Monate nach der Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister. […]

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 606 der Zivilprozessordnung (ZPO)

Mit der Musterfeststellungsklage können qualifizierte Einrichtungen die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungszielen) zwischen Verbrauchern und einem Unternehmen begehren. […]

§ 608 der Zivilprozessordnung (ZPO)

(1) Bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins können Verbraucher Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die von den Feststellungszielen abhängen, zur Eintragung in das Klageregister anmelden. […]

(3) Die Anmeldung kann bis zum Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz zurückgenommen werden. […]

Karlsruhe, den 27. Januar 2022

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 27.01.2022

17.11.21

Verjährung von Rückforderungsansprüchen nach einer Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung

- §195 BGB, §199 BGB, §203 VVG, Urteile -

Urteil vom 17. November 2021 – IV ZR 113/20

Der u.a. für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über einen Fall entschieden, in dem der Versicherungsnehmer erhöhte Krankenversicherungsbeiträge zurückverlangte, die er seit dem Jahr 2008 aufgrund seiner Ansicht nach unwirksamer Prämienanpassungen gezahlt hatte. Der Senat hat in diesem Fall einen möglichen Anspruch auf Rückzahlung der bis zum 31. Dezember 2014 gezahlten Erhöhungsbeträge als verjährt angesehen.

Sachverhalt und Prozessverlauf:

Der Kläger wandte sich gegen mehrere Beitragserhöhungen in den Jahren 2008, 2009, 2013 und 2016, die sein privater Krankenversicherer vorgenommen hatte. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beitragserhöhungen wegen unzureichender Begründungen im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG unwirksam seien; er forderte mit seiner im Jahr 2018 erhobenen Klage zuletzt u.a. die Rückzahlung der auf die Beitragserhöhungen vom 1. Juli 2008 bis zum 31. Dezember 2017 gezahlten Prämienanteile.

Das Landgericht hat seiner Klage stattgegeben und den beklagten Versicherer u.a. antragsgemäß zur Rückzahlung der gezahlten Erhöhungsbeträge verurteilt. Das Oberlandesgericht hat dies teilweise abgeändert und die Beklagte u.a. nur zur Rückzahlung der vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2017 geleisteten Erhöhungsbeträge verurteilt. Nach Auffassung des Berufungsgerichts seien weitere Beitragszahlungen, die bis Ende 2014 erfolgt seien, nicht zurückzuerstatten, da insoweit Verjährung eingetreten sei.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Auch die Beklagte hat Revision eingelegt.

Die Entscheidung des Senats:

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Erhebung einer Klage, mit der die formelle Unwirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung aufgrund einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG nicht genügenden Begründung geltend gemacht wird, jedenfalls dann nicht wegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage bis zur Klärung durch den Bundesgerichtshof unzumutbar war, wenn der Versicherungsnehmer gleichwohl bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung seinen Anspruch gegenüber dem Schuldner geltend macht und dadurch selbst zu erkennen gibt, vom Bestehen des Anspruchs auszugehen. Der Beginn der Verjährungsfrist für Ansprüche auf Rückzahlung erhöhter Beiträge war daher nicht bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs hinausgeschoben. Der IV. Zivilsenat hatte mit Urteil vom 16. Dezember 2020 (IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56, Pressemitteilung Nr. 161/2020) über die Anforderungen an die Begründung einer Prämienanpassung entschieden.

Der Kläger erlangte die für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis vom Fehlen des Rechtsgrundes für die Zahlung der Erhöhungsbeträge mit Erhalt der seiner Ansicht nach formal unzureichenden Änderungsmitteilungen. Dagegen ist es für den Beginn der Verjährungsfrist ohne Bedeutung, ob er mit dem Zugang der Änderungsmitteilungen auch Kenntnis von den Tatsachen hatte, aus denen die von ihm ebenfalls geltend gemachte materielle Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen folgen könnte. Eine erneute Kenntnisnahme vom Fehlen desselben Rechtsgrundes aus weiteren Gründen setzt keine neue Verjährungsfrist in Gang.

Das Berufungsgericht hat daher zu Recht die Rückzahlungsansprüche für die bis zum 31. Dezember 2014 geleisteten Erhöhungsbeträge für verjährt gehalten. Während die Revision des Klägers deswegen insgesamt zurückgewiesen wurde, hatte die Revision der Beklagten zu nicht die Verjährung betreffenden Fragen teilweise Erfolg und führte insoweit zur Abänderung des Berufungsurteils. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit es die materielle Rechtmäßigkeit der Prämienanpassungen aus den Jahren 2008, 2009 und 2013 im Hinblick auf die in nicht verjährter Zeit gezahlten Erhöhungsbeträge prüfen kann.

Vorinstanzen:

OLG Köln – Urteil vom 21. April 2020 – 9 U 174/18

LG Köln – Urteil vom 14. November 2018 – 23 O 216/18

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 195 BGB

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.

§ 199 BGB

(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem

  1. der Anspruch entstanden ist und
  2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

§ 203 VVG

(1) …

(2) Ist bei einer Krankenversicherung das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen, ist der Versicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage berechtigt, die Prämie entsprechend den berichtigten Rechnungsgrundlagen auch für bestehende Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat. …

(3) …

(4) …

(5) Die Neufestsetzung der Prämie und die Änderungen nach den Absätzen 2 und 3 werden zu Beginn des zweiten Monats wirksam, der auf die Mitteilung der Neufestsetzung oder der Änderungen und der hierfür maßgeblichen Gründe an den Versicherungsnehmer folgt.

Karlsruhe, den 17. November 2021

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 17.11.2021

29.07.21

Bundesgerichtshof entscheidet weitere Verjährungsfragen im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Dieselskandal

- §195 BGB, §199 BGB, §204 BGB, §242 BGB, §606 ZPO, §608 ZPO, §826 BGB, Urteile -

Urteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20

Sachverhalt

Der Kläger erwarb im September 2013 einen gebrauchten VW Tiguan, der mit einem Dieselmotor vom Typ EA189 (EU5) ausgestattet ist. Der beklagte Fahrzeughersteller erklärte im September 2015 in einer Ad-hoc-Mitteilung, dass bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren vom Typ EA189 auffällige Abweichungen zwischen den auf dem Prüfstand gemessenen Emissionswerten und denen im realen Fahrzeugbetrieb festgestellt worden seien. In der Folge trat die Beklagte wiederholt an die Öffentlichkeit; die Medien berichteten umfangreich über das Geschehen.

Mit seiner im Jahr 2019 eingereichten Klage verlangt der Kläger, nachdem er seine Ansprüche zuvor zum Klageregister der Musterfeststellungsklage an- und wieder abgemeldet hatte, Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Zahlung von Wertersatz maximal in Höhe des erzielten Erlöses für das zwischenzeitlich weiterveräußerte Fahrzeug. Die Beklagte hat u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, weil die Ansprüche des Klägers verjährt seien. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Kläger sein Schadensersatzbegehren weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der unter anderem für Ansprüche aus unerlaubter Handlung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückgegeben.

Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen lässt sich dem Kläger keine – den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist im Jahr 2015 auslösende – grob fahrlässige Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB vorwerfen. Das Berufungsgericht hat es versäumt festzustellen, ob der Kläger allgemein vom sogenannten Dieselskandal Kenntnis erlangt hatte. Eine solche Feststellung mag angesichts der umfangreichen Berichterstattung zwar naheliegen, ist aber Sache des Tatrichters.

Der von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung steht darüber hinaus eine Hemmung der Verjährung durch die Anmeldung des entsprechenden klägerischen Anspruchs zum Klageregister der Musterfeststellungsklage entgegen. Die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB tritt im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zu deren Register ein, auch wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst im Jahr 2019 und damit nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt sein sollte.

Dem Kläger ist es auch nicht allein deshalb nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf diesen Hemmungstatbestand zu berufen, weil er seinen Anspruch ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung zum Klageregister angemeldet hatte.

Vorinstanzen:

Landgericht Dessau-Roßlau – Urteil vom 27. März 2020 – 4 O 367/19

Oberlandesgericht Naumburg – Urteil vom 25. Juni 2020 – 8 U 34/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.

§ 199 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem

  1. der Anspruch entstanden ist und
  2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. […]

§ 204 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Die Verjährung wird gehemmt durch […]

1a. die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage, […]

(2) Die Hemmung nach Absatz 1 endet sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Die Hemmung nach Absatz 1 Nummer 1a endet auch sechs Monate nach der Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister. […]

§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 606 der Zivilprozessordnung (ZPO)

(1) Mit der Musterfeststellungsklage können qualifizierte Einrichtungen die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungszielen) zwischen Verbrauchern und einem Unternehmen begehren. […]

§ 608 der Zivilprozessordnung (ZPO)

(1) Bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins können Verbraucher Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die von den Feststellungszielen abhängen, zur Eintragung in das Klageregister anmelden. […]

(3) Die Anmeldung kann bis zum Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz zurückgenommen werden. […]

Karlsruhe, den 29. Juli 2021

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021


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