Kategoriearchiv '§1004 BGB'

29.11.21

Urteile in den Verfahren zum Buch „VERMÄCHTNIS – DIE KOHL-PROTOKOLLE“ verkündet

- §1004 BGB, §1922 BGB, §823 BGB, Urteile -

Urteile vom 29. November 2021 – VI ZR 248/18 und VI ZR 258/18

Der unter anderem für das allgemeine Persönlichkeitsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in zwei Verfahren um das Buch „VERMÄCHTNIS – DIE KOHL-PROTOKOLLE“ Urteile verkündet. Die Revision der Klägerin gegen das den von ihr geltend gemachten Geldentschädigungsanspruch verneinende Urteil des Oberlandesgerichts Köln (VI ZR 258/18) hat er zurückgewiesen. Zum Teil erfolgreich waren die Revisionen der Klägerin und des beklagten Verlags („Drittbeklagte“) hinsichtlich des sich mit den Unterlassungsansprüchen befassenden Urteils des Oberlandesgerichts Köln (VI ZR 248/18).

Sachverhalt:

Im Oktober 2014 erschien im H.-Verlag, einer Verlagsmarke der Drittbeklagten, ein vom Erstbeklagten, einem Historiker und Journalisten, zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Zweitbeklagten, ebenfalls Journalist, verfasstes Buch mit dem Titel „VERMÄCHTNIS – DIE KOHL-PROTOKOLLE“. Das Buch enthält eine Vielzahl angeblicher Äußerungen des vormaligen Klägers Bundeskanzler a. D. Dr. Helmut Kohl. Hinsichtlich sämtlicher Äußerungen machen die Beklagten geltend, dass sie anlässlich von Gesprächen gefallen sind, die der Erstbeklagte mit dem vormaligen Kläger zur Erstellung von dessen Memoiren geführt hatte. Der vormalige Kläger hat geltend gemacht, das Buch verletze ihn in insgesamt 116 Passagen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Er hat die Beklagten deshalb zum einen auf Unterlassung der wörtlichen oder sinngemäßen Verbreitung dieser Passagen (VI ZR 248/18) und zum anderen auf Zahlung einer Geldentschädigung in einer Größenordnung von mindestens 5 Mio. € nebst Zinsen (VI ZR 258/18) in Anspruch genommen. Bei der nunmehrigen Klägerin handelt es sich um die Witwe und Alleinerbin des am 16. Juni 2017 und damit während der Berufungsverfahren verstorbenen vormaligen Klägers, die den Rechtsstreit fortführt.

VI ZR 258/18 (Geldentschädigung)

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die drei Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1 Mio. € verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage vollumfänglich abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei nicht vererblich, weshalb der Klageanspruch jedenfalls mit dem Tod des vormaligen Klägers erloschen sei. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision. Sie begehrt weiterhin eine Geldentschädigung in Höhe von mindestens 5 Mio. € nebst Zinsen. Nach dem Tod des Zweitbeklagten ist der Rechtsstreit ihm bzw. seinen Erben gegenüber unterbrochen. Gegenstand des nunmehr verkündeten, die Frage der Geldentschädigung betreffenden Urteils (Teilurteil) sind deshalb nur die gegen den Erstbeklagten und gegen die Drittbeklagte geltend gemachten Ansprüche.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der VI. Zivilsenat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die Annahme des Oberlandesgerichts, der Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei grundsätzlich nicht vererblich und deshalb jedenfalls mit dem Tod des vormaligen Klägers untergegangen, trifft zu. Die grundsätzliche Unvererblichkeit eines solchen Anspruchs entspricht der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Begründet wird sie mit der Funktion des Geldentschädigungsanspruchs, bei der der Genugtuungsgedanke im Vordergrund steht; einem Verstorbenen kann Genugtuung aber nicht mehr verschafft werden. Durchgreifende Gründe, diese Rechtsprechung aufzugeben, sah der VI. Zivilsenat nicht. Schließlich lagen im Streitfall auch keine besonderen Umstände vor, die (ausnahmsweise) zur Vererblichkeit geführt hätten. Insbesondere wird der Geldentschädigungsanspruch nicht dadurch vererblich, dass er dem Erblasser noch zu dessen Lebzeiten zugesprochen wird, wenn das entsprechende Urteil bei Eintritt des Todes – wie hier – noch nicht rechtskräftig ist.

VI ZR 248/18 (Klage auf Unterlassung):

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Hinsichtlich des Erstbeklagten ist es davon ausgegangen, dieser sei bereits aufgrund einer mit dem vormaligen Kläger anlässlich der „Memoirengespräche“ konkludent geschlossenen Verschwiegenheitsvereinbarung zur beantragten Unterlassung verpflichtet. Gegenüber den anderen beiden Beklagten ergebe sich der Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1, § 830 BGB, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. Denn mit der Veröffentlichung und Verbreitung der betroffenen Textpassagen hätten sie den (vormaligen) Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

Die Berufung des Erstbeklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Auch nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist der Erstbeklagte aufgrund einer mit dem vormaligen Kläger konkludent getroffenen Vereinbarung zur Verschwiegenheit über sämtliche im Rahmen der Memoirengespräche erlangte Informationen verpflichtet. Diese Verpflichtung dauere fort und könne – so das Oberlandesgericht weiter – auch nach dem Tod des vormaligen Klägers durch die Klägerin geltend gemacht werden. Die Revision hat das Oberlandesgericht insoweit nicht zugelassen. Die vom Erstbeklagten dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs bereits mit Beschluss vom 23. März 2021 zurückgewiesen. Insoweit war das Verfahren bereits vor Verkündung des heutigen Urteils abgeschlossen.

Die Berufungen des Zweitbeklagten und der Drittbeklagten hatten in Bezug auf eine der 116 Textpassagen voll und in Bezug auf weitere 40 Textpassagen zum Teil Erfolg. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts trifft diese beiden Beklagten zwar eine Unterlassungsverpflichtung wegen Verletzung des – nun postmortalen – Persönlichkeitsrechts des vormaligen Klägers. Diese Unterlassungsverpflichtung sei aber auf die wörtliche Wiedergabe und Verbreitung (angeblich) wörtlicher Zitate des vormaligen Klägers beschränkt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils; der Zweitbeklagte und die Drittbeklagte begehren mit ihren Revisionen weiterhin die Abweisung der Klage. Nach dem Tod des Zweitbeklagten ist auch dieses Verfahren ihm bzw. seinen Erben gegenüber unterbrochen. Gegenstand des nun verkündeten Urteils (Teilurteil) ist deshalb alleine noch der gegen die Drittbeklagte gerichtete Unterlassungsanspruch.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revisionen beider Parteien hatten teilweise Erfolg. Der von der Klägerin geltend gemachte, deliktische Unterlassungsanspruch gegenüber der Drittbeklagten, mit der der vormalige Kläger anders als mit dem Erstbeklagten keine (konkludente) Verschwiegenheitsvereinbarung über den Tod hinaus getroffen hatte, beschränkt sich auf die Veröffentlichung und Verbreitung von im Buch vorhandenen Fehlzitaten. Nur insoweit verletzen Veröffentlichung und Verbreitung der angegriffenen Buchpassagen das von der Klägerin wahrgenommene postmortale Persönlichkeitsrecht ihres verstorbenen Ehemannes. Soweit keine Fehlzitate vorliegen, besteht keine Unterlassungspflicht der Drittbeklagten. Eine solche folgt – anders als das Oberlandesgericht meinte – insbesondere nicht daraus, dass der vormalige Kläger einer Veröffentlichung einiger Aussagen schon im Rahmen der Memoirengespräche ausdrücklich widersprochen hatte („Sperrvermerkszitate“), noch daraus, dass die Wiedergabe wörtlicher Zitate eine unzulässige „bildnisgleiche“ bzw. „intensive“ Verdinglichung seiner Person darstellte. Soweit sich die Zitate auf der Grundlage der Feststellungen des Oberlandesgerichts abschließend als Fehlzitate einordnen lassen, hat der VI. Zivilsenat deshalb die Revision der Drittbeklagten zurückgewiesen, soweit sie sich abschließend als zutreffend beurteilen lassen, hat er das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Soweit sich auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht beurteilen lässt, ob das jeweilige Zitat richtig oder falsch ist, hat der Senat die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, damit die noch fehlenden Feststellungen dort getroffen werden können.

Die Revision der Klägerin hatte insoweit Erfolg, als das Oberlandesgericht die Unterlassungsverpflichtung der Drittbeklagten auch hinsichtlich der (möglichen) Fehlzitate auf die wörtliche Wiedergabe der im Buch als wörtliche Zitate gekennzeichneten Aussagen beschränkt hatte. Denn das postmortale Persönlichkeitsrecht eines Verstorbenen verletzende Fehlzitate dürfen auch nicht sinngemäß veröffentlicht oder verbreitet werden.

Vorinstanzen:

VI ZR 258/18

LG Köln – 14 O 323/15 – Urteil vom 27. April 2017

OLG Köln – 15 U 64/17 – Urteil vom 29. Mai 2018

und

VI ZR 248/18

LG Köln – 14 O 261/14 – Urteil vom 27. April 2017

OLG Köln – 15 U 65/17 – Urteil vom 29. Mai 2018

Karlsruhe, den 29. November 2021

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) […].

§ 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) […].

§ 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

(1) Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über.

(2) […].

Art. 1 des Grundgesetzes (GG):

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) […].

(3) […].

Art. 2 des Grundgesetzes (GG):

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) […].

Art. 5 des Grundgesetzes (GG):

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 29.11.2021

11.06.21

Abschneiden überhängender Äste bei Gefahr für Standfestigkeit des Baumes

- §1004 BGB, §910 BGB, Urteile -

Urteil vom 11. Juni 2021 – V ZR 234/19

Der unter anderem für das Nachbarrecht zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass ein Grundstücksnachbar – vorbehaltlich naturschutzrechtlicher Beschränkungen – von seinem Selbsthilferecht aus § 910 BGB auch dann Gebrauch machen darf, wenn durch das Abschneiden überhängender Äste das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht.

Sachverhalt:

Die Parteien sind Nachbarn. Auf dem Grundstück der Kläger steht unmittelbar an der gemeinsamen Grenze seit rund 40 Jahren eine inzwischen etwa 15 Meter hohe Schwarzkiefer. Ihre Äste, von denen Nadeln und Zapfen herabfallen, ragen seit mindestens 20 Jahren auf das Grundstück des Beklagten hinüber. Nachdem dieser die Kläger erfolglos aufgefordert hatte, die Äste der Kiefer zurückzuschneiden, schnitt er überhängende Zweige selbst ab. Mit der Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten, es zu unterlassen, von der Kiefer oberhalb von fünf Meter überhängende Zweige abzuschneiden. Sie machen geltend, dass das Abschneiden der Äste die Standsicherheit des Baums gefährde. Die Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die von dem Berufungsgericht gegebene Begründung, die Kläger müssten das Abschneiden der Zweige nicht nach § 910 BGB dulden, weil diese Vorschrift nur unmittelbar von den überhängenden Ästen ausgehende Beeinträchtigungen erfasse, nicht aber mittelbaren Folgen, wie den Abfall von Nadeln und Zapfen, ist durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14. Juni 2019 (V ZR 102/18) überholt. Schon aus diesem Grunde war das Berufungsurteil aufzuheben. Das Berufungsgericht wird nunmehr zu klären haben, ob die Nutzung des Grundstücks des Beklagten durch den Überhang beeinträchtigt wird. Ist dies der Fall, dann ist die Entfernung des Überhangs durch den Beklagten für die Kläger auch dann nicht unzumutbar, wenn dadurch das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht. Das Selbsthilferecht aus § 910 Abs. 1 BGB sollte nach der Vorstellung des Gesetzgebers einfach und allgemein verständlich ausgestaltet sein, es unterliegt daher insbesondere keiner Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung. Zudem liegt die Verantwortung dafür, dass Äste und Zweige nicht über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen, bei dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Baum steht; er ist hierzu im Rahmen der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung seines Grundstücks gehalten. Kommt er dieser Verpflichtung – wie hier die Kläger – nicht nach und lässt er die Zweige des Baumes über die Grundstücksgrenze wachsen, dann kann er nicht unter Verweis darauf, dass der Baum (nunmehr) droht, durch das Abschneiden der Zweige an der Grundstücksgrenze seine Standfestigkeit zu verlieren oder abzusterben, von seinem Nachbarn verlangen, das Abschneiden zu unterlassen und die Beeinträchtigung seines Grundstücks hinzunehmen. Das Selbsthilferecht kann aber durch naturschutzrechtliche Regelungen, etwa durch Baumschutzsatzungen oder -verordnungen, eingeschränkt sein. Ob dies hier der Fall ist, wird das Berufungsgericht noch zu prüfen haben.

Vorinstanzen

Amtsgericht Pankow/Weißensee – Urteil vom 8. August 2018 – 7 C 146/18

Landgericht Berlin – Urteil vom 9. September 2019 – 51 S 17/18

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 910 BGB

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann Wurzeln eines Baumes oder eines Strauches, die von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind, abschneiden und behalten. Das Gleiche gilt von herüberragenden Zweigen, wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt.

(2) Dem Eigentümer steht dieses Recht nicht zu, wenn die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen.

§ 1004 BGB

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Karlsruhe, den 11. Juni 2021

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 11.06.2021

18.05.21

Unterlassungsklage gegen die weitere Verbreitung von Szenen aus dem Film „Die Auserwählten“ nicht erfolgreich

- §1004 BGB, §823 BGB, Art. 1 GG, Art. 2 GG, Art. 5 GG, Urteile -

Urteil vom 18. Mai 2021 – VI ZR 441/19

Sachverhalt:

Der Kläger war in den 1980er Jahren Schüler der Odenwaldschule, wo er über mehrere Jahre sexuell missbraucht wurde. Seit dem Jahr 1998 machte er auf das Missbrauchsgeschehen aufmerksam und trug – u.a. durch die Mitwirkung an Presseveröffentlichungen und an einem Dokumentarfilm – maßgeblich zu dessen Aufklärung bei. Im Jahr 2011 veröffentlichte der Kläger ein autobiographisches Buch, in dem er die Geschehnisse schilderte. Im Jahr 2012 erhielt der Kläger den Geschwister-Scholl-Preis; anlässlich der Preisverleihung legte er im November 2012 sein zunächst verwendetes Pseudonym ab. Im Jahr 2014 strahlte die ARD den im Auftrag der erstbeklagten Landesrundfunkanstalt von der Beklagten zu 2 produzierten Spielfilm „Die Auserwählten“ aus. Der an Originalschauplätzen gedrehte Film thematisiert den sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule, wobei der Kläger als Vorbild für die zentrale Filmfigur zu erkennen ist. Der Kläger, der eine Mitwirkung an dem Film im Vorfeld abgelehnt hatte, hält dies für einen unzulässigen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Er begehrt, die weitere Verbreitung der entsprechenden Filmszenen zu unterlassen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zugelassenen Revision verfolgte der Kläger sein Unterlassungsbegehren weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für Ansprüche aus dem Recht am eigenen Bild und aus unerlaubter Handlung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Vorentscheidungen bestätigt. Die Klage ist damit rechtskräftig abgewiesen.

Der Kläger kann sein Unterlassungsbegehren nicht auf sein Recht am eigenen Bild stützen. Der Senat hat eine insoweit in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Rechtsfrage dahin entschieden, dass eine als solche erkennbare bloße Darstellung einer realen Person durch einen Schauspieler in einem Spielfilm kein Bildnis der dargestellten Person i.S.d. § 22 Satz 1 KUG ist. Dieser Schutz steht im Falle der als solche erkennbaren bloßen Darstellung einer Person durch einen Schauspieler dem Schauspieler zu, der in diesem Fall auch in seiner Rolle noch „eigenpersönlich“ und damit als er selbst erkennbar bleibt. Als Bildnis der dargestellten Person ist die Darstellung dagegen (erst) dann anzusehen, wenn der täuschend echte Eindruck erweckt wird, es handele sich um die dargestellte Person selbst, wie dies etwa bei dem Einsatz eines Doppelgängers oder einer nachgestellten berühmten Szene oder Photographie der Fall sein kann.

Der Anspruch ergibt sich bei der gebotenen kunstspezifischen Betrachtungsweise auch nicht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG). Zwar ist der Kläger durch die ausgeprägten Übereinstimmungen zwischen seinem Schicksal und der Darstellung der entsprechenden zentralen Filmfigur in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen. Auch verstärkt die in der besonderen Intensität der visuellen Darstellung liegende suggestive Kraft eines Spielfilms diese Betroffenheit. Doch wiegt diese Betroffenheit im Ergebnis und unter maßgeblicher Berücksichtigung der von dem Kläger in der Vergangenheit praktizierten Selbstöffnung nicht so schwer, dass die zugunsten der Beklagten streitende Kunst- und Filmfreiheit zurücktreten müsste.

Vorinstanzen:

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg – Urteil vom 1. Oktober 2019 – 7 U 141/16

Landgericht Hamburg – Urteil vom 3. Juni 2016 – 324 O 78/15

Die hier maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 22 Satz 1 Kunsturhebergesetz (KUG):

Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.

§ 23 Abs. 1 Satz 1 Kunsturhebergesetz (KUG):

(1) Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden: […]

§ 823 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

§ 1004 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG):

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG):

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Art. 5 des Grundgesetzes (GG):

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Karlsruhe, den 18. Mai 2021

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 18.05.2021


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